Variation
Foto: Pixelio/ Karl-Heinz Liebisch
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Genüsslich
die Aussicht
dort am Wegesrand
Zeit für neue Ernte
Variation
Anguane
Foto: Pixelio/ Karl-Heinz Liebisch
… gleichen wir einem Film, der belichtet wird.
Entwickeln wird ihn die Erinnerung.
Max Frisch
… des Lebens ist an sich so seltsam, daß er überhaupt nicht zu ertragen wäre, wenn wir imstande wären, diese Seltsamkeit in der Gegenwart ebenso deutlich zu empfinden, wie sie uns in der Erinnerung und in der Erwartung meistens zu erscheinen pflegt.
Arthur Schnitzler
… der letzte und allgemeine Maßstab für den Wert eines Menschen, ob er auch der Andacht fähig ist, ob er seine Gedanken vom Staub des Werktages losmachen und eine Feiertagsstille in sich erzeugen und würdig genießen kann.
Paul von Heyse
Er konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal die Vision einer erfüllten, gemeinsamen Zukunft hatte, wann er das letzte Mal über den Moment hinausdenken konnte ohne dabei seine verknotete Kehle und sein bebendes Herz zu spüren. Nein, wirklich nicht, sein Gedächtnis ließ ihn jämmerlich im Stich - musste es wohl. Was sollte es außer einer eingeschnürten Seele, einem schwer arbeitendendem Herzen und dem Geschmack von Salz auf der gesamten Hautoberfläche auch bringen? Was anderes, als einen hysterischen Magen und gelähmte Knochen, was, als rhythmisch zuckende Augenlider und Mundwinkel?
Für kurze Zeit, in Relation zu seinen bereits verbrauchten Tagen auf Erden, glaubte er an die Sicherheit äußerer Gegebenheiten, vergaß dabei lediglich die fragilen Verstrebungen des damals stabil wirkenden Bauwerkes mitsamt der Gerüste.
Angst, ja, Angst wurde ihm mit ins Kreißsaalbettchen gelegt aufgrund des Versäumnisses der resolut wirkenden Schwester, dieses Gefühl gleich mit der Nabelschnur zu unterbinden. Eine Ängstlichkeit, die sich alsbald mit einer hellhörigen Sensitivität, einem wachen Geist, nicht zu brechendem Stolz (nur an nach außen unsichtbaren Stellen fanden sich doch haarfeine, schmerzende Risse) und vor allen Dingen mit einem unergründlich tiefen Wunsch, von anderen gemocht zu werden, paarte.
Schon in früher Kindheit fiel ihm die ein oder andere überraschende Lösung für seine Ängste ein. Die Geschwister seiner Angst halfen ihm dabei. Das war ihre ureigene Aufgabe, denn nichts wog auch nur annähernd so viel wie dieser, sein innigster Wunsch, ein Teil des wärmenden Ganzen zu sein - koste es fast, was es wolle.
Damals vor fast dreißig Jahren wähnte er sich am Ziel und war es vielleicht auch, doch das Leben verweigerte ihm ein lebenslanges Asylrecht. Die Methode der Verweigerung erschien ihm besonders perfide, war sie doch keineswegs durch die Veränderung des äußeren Rahmens gekennzeichnet, sondern kam vielmehr in Gestalt einer seltenen Krankheit daher, die aus seiner Frau - ein großer Bestandteil des ehemals wärmenden Ganzen - eine Fremde machte. Eine Fremde, die in einer anderen Sprache aus einer anderen Welt mit anderen Gepflogenheiten zu ihm sprach.
Verstehen kann man vieles nicht, handhaben einiges - auf unterschiedlichen Wegen. Der Weg der Spiritualität schien ihm unbegehbar. Er konnte und wollte sich nicht einreihen in der Heerscharen alter und neuer Spiritueller. Er sah sich nicht als Gedanke Gottes, sondern vielmehr die Existenz Gottes als einen Gedanken des Menschen, des leidenden, sinn-, halt- und trostsuchenden Menschen. Gleich daneben der Weg des noch relativ jungen Marktes esoterischer Heilsbringer - gewinnbringend, nur nicht für ihn. Die Anhänger des Moments in direkter Gefolgschaft. In seinen Augen das Privileg der Kinder und Pensionäre. Er hingegen musste durchaus die Konsequenzen seiner Entscheidungen für ein wahrscheinliches Morgen sorgfältig überdenken. Musste und wollte dies auch.
Die mittleren Jahre brachten noch den ein oder anderen nicht immer dornenfreien Lösungsversuch mit sich. Nein, sein sehnlichster Wunsch ging nicht in Erfüllung, er blieb endgültig vom bergenden Mutterschoß entfernt.
Schon wollte er resignieren, sich dem Vakuum, der Leere seines Geistes hingeben, als sich ein Gedanke, vielmehr eine Erinnerung regte. Taugte sein Gedächtnis noch? Seine Erinnerung eröffnete ihm einen Blick auf seine dreizehnten bis dreißigsten Lebensjahre. Lebensjahre, die ihn prägten, und er dachte: “Nein, Leben für und im Moment: das war mir schon immer zu unrealistisch, eigentlich auch unmenschlich und zudem anstrengend.
Aber es gibt eine Variante des Themas, meine Variante: Leben in jedem Moment mit guter Musik, leben für jeden Moment mit guter Musik.”
Als er sich, beschwingt durch diese Gedanken, auf dem Weg zu seinem nächsten Konzert befand, streifte sein Blick die ausgestellte Neuware eines mehrstöckigen Buchladens.
Alles Glück kommt nie las er im Vorbeigehen.
Beitrag zum Schreibaufruf Donnas:
www.donnaschreibt.com
Danke für die schöne Idee, Donna. Ich bin auf dem Weg zum Flughafen, komme hoffentlich ohne Virus zurück, und der Computer bleibt hier. Bis dann.
P.S. “Alles Glück kommt nie” heißt das neue (bislang von mir ungelesene) Buch von Anna Gavalda.
Ein Abschied verleitet immer dazu, etwas zu sagen,
was man sonst nicht ausgesprochen hätte.
Michel de Montaigne
Es ist wieder einmal an der Zeit, allen aktiven Mitbloggern/innen, deren Blogeinträge ich nach wie vor mit Interesse verfolgen darf, ein Dankeschön auszusprechen und weiterhin allen, die nun schon seit Monaten regelmäßig hier kommentieren. Danke aber auch an all jene, die “leise” mitlesen.
Ich wünsche Euch einen guten Sommer!
LG
Anguane
Gerade noch im
Rausch der Geschwindigkeit
Gerade noch im
Gedränge der Termine
Gerade noch im
Rad des Getriebes
Gerade noch im
Dschungel der Menschenansammlung
Gerade noch im
Lärm des Sturms
Stillstand