Pausenpause - Die Donnaaktion
Er konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal die Vision einer erfüllten, gemeinsamen Zukunft hatte, wann er das letzte Mal über den Moment hinausdenken konnte ohne dabei seine verknotete Kehle und sein bebendes Herz zu spüren. Nein, wirklich nicht, sein Gedächtnis ließ ihn jämmerlich im Stich - musste es wohl. Was sollte es außer einer eingeschnürten Seele, einem schwer arbeitendendem Herzen und dem Geschmack von Salz auf der gesamten Hautoberfläche auch bringen? Was anderes, als einen hysterischen Magen und gelähmte Knochen, was, als rhythmisch zuckende Augenlider und Mundwinkel?
Für kurze Zeit, in Relation zu seinen bereits verbrauchten Tagen auf Erden, glaubte er an die Sicherheit äußerer Gegebenheiten, vergaß dabei lediglich die fragilen Verstrebungen des damals stabil wirkenden Bauwerkes mitsamt der Gerüste.
Angst, ja, Angst wurde ihm mit ins Kreißsaalbettchen gelegt aufgrund des Versäumnisses der resolut wirkenden Schwester, dieses Gefühl gleich mit der Nabelschnur zu unterbinden. Eine Ängstlichkeit, die sich alsbald mit einer hellhörigen Sensitivität, einem wachen Geist, nicht zu brechendem Stolz (nur an nach außen unsichtbaren Stellen fanden sich doch haarfeine, schmerzende Risse) und vor allen Dingen mit einem unergründlich tiefen Wunsch, von anderen gemocht zu werden, paarte.
Schon in früher Kindheit fiel ihm die ein oder andere überraschende Lösung für seine Ängste ein. Die Geschwister seiner Angst halfen ihm dabei. Das war ihre ureigene Aufgabe, denn nichts wog auch nur annähernd so viel wie dieser, sein innigster Wunsch, ein Teil des wärmenden Ganzen zu sein - koste es fast, was es wolle.
Damals vor fast dreißig Jahren wähnte er sich am Ziel und war es vielleicht auch, doch das Leben verweigerte ihm ein lebenslanges Asylrecht. Die Methode der Verweigerung erschien ihm besonders perfide, war sie doch keineswegs durch die Veränderung des äußeren Rahmens gekennzeichnet, sondern kam vielmehr in Gestalt einer seltenen Krankheit daher, die aus seiner Frau - ein großer Bestandteil des ehemals wärmenden Ganzen - eine Fremde machte. Eine Fremde, die in einer anderen Sprache aus einer anderen Welt mit anderen Gepflogenheiten zu ihm sprach.
Verstehen kann man vieles nicht, handhaben einiges - auf unterschiedlichen Wegen. Der Weg der Spiritualität schien ihm unbegehbar. Er konnte und wollte sich nicht einreihen in der Heerscharen alter und neuer Spiritueller. Er sah sich nicht als Gedanke Gottes, sondern vielmehr die Existenz Gottes als einen Gedanken des Menschen, des leidenden, sinn-, halt- und trostsuchenden Menschen. Gleich daneben der Weg des noch relativ jungen Marktes esoterischer Heilsbringer - gewinnbringend, nur nicht für ihn. Die Anhänger des Moments in direkter Gefolgschaft. In seinen Augen das Privileg der Kinder und Pensionäre. Er hingegen musste durchaus die Konsequenzen seiner Entscheidungen für ein wahrscheinliches Morgen sorgfältig überdenken. Musste und wollte dies auch.
Die mittleren Jahre brachten noch den ein oder anderen nicht immer dornenfreien Lösungsversuch mit sich. Nein, sein sehnlichster Wunsch ging nicht in Erfüllung, er blieb endgültig vom bergenden Mutterschoß entfernt.
Schon wollte er resignieren, sich dem Vakuum, der Leere seines Geistes hingeben, als sich ein Gedanke, vielmehr eine Erinnerung regte. Taugte sein Gedächtnis noch? Seine Erinnerung eröffnete ihm einen Blick auf seine dreizehnten bis dreißigsten Lebensjahre. Lebensjahre, die ihn prägten, und er dachte: “Nein, Leben für und im Moment: das war mir schon immer zu unrealistisch, eigentlich auch unmenschlich und zudem anstrengend.
Aber es gibt eine Variante des Themas, meine Variante: Leben in jedem Moment mit guter Musik, leben für jeden Moment mit guter Musik.”
Als er sich, beschwingt durch diese Gedanken, auf dem Weg zu seinem nächsten Konzert befand, streifte sein Blick die ausgestellte Neuware eines mehrstöckigen Buchladens.
Alles Glück kommt nie las er im Vorbeigehen.
Beitrag zum Schreibaufruf Donnas:
www.donnaschreibt.com
Danke für die schöne Idee, Donna. Ich bin auf dem Weg zum Flughafen, komme hoffentlich ohne Virus zurück, und der Computer bleibt hier. Bis dann.
P.S. “Alles Glück kommt nie” heißt das neue (bislang von mir ungelesene) Buch von Anna Gavalda.
Juli 24th, 2009 at 11:28
Aber das kleine Glück dann doch häufiger, als man selbst glauben mag - man muss es nur sehen wollen.
Schönen Urlaub wünsch ich
Viele Grüße bigi
Juli 24th, 2009 at 12:02
Liebe Anguane!
Wie schön, dass du es noch geschafft hast!!!
Das ist ja eine überaus tiefgründige Geschichte, die ich in aller Ruhe noch einmal/mehrmals lesen werde.
Danke für deine Teilnahme an dem Schreibprojekt.
Einen erholsamen Urlaub wünsche ich dir und deinen Lieben.
LG - Donna
Juli 25th, 2009 at 16:42
seelenhaarfein.
philosphisch konkret, so halb.
krönung: als abschluss den passenden buchtitel,
verweisend auf mögliches in der zukunft…?
Juli 25th, 2009 at 22:28
Hallo Anguane.
Eine interessante Lebensgeschichte über die Suche nach dem Glück.
Nichts ist sicher, schon gar nicht das Glück. Man kann es nicht planen, und man kann es nicht einfangen. Aber man kann es genießen, solange es da ist, man muss es nur wollen. Wenn man Angst hat, es zu verlieren, dann hat man es bereits verloren.
Auch von mir einen schönen Urlaub!
Viele Grüße
Wolfgang
Juli 26th, 2009 at 10:18
Liebe Anguane
Musik beschert sicher nicht “alles Glück”, falls es das überhaupt gibt. Aber wenn ich das Bild wieder vor mir sehe - Tracy Chapman steht in Lörrach auf der Stimmen-Festival Bühne und singt “Baby can I hold you now”, ich schließe die Augen und lasse mich verzaubern - dann sind das schon Glücksmomente. Aber jeder sollte sicher seine Form finden, vielleicht war es für Dich diese sehr gelungene Geschicht mit dem tollen Schluss. Erhol Dich gut, LG
hurricane
Juli 26th, 2009 at 11:05
So, Ihr alle, jetzt muss ich Euch doch noch einmal vor meinem definitiven Abflug (heute 16.20 Uhr) dafür danken, dass Ihr Euch mit meiner Geschichte befasst und sie kommentiert habt. Ihr seht schon, ich bin -entgegen meiner Vorsätze- nicht ganz abstinent in meiner Pausenphase ;-). Die nächsten 14 Tage gibt es dann aber eine Zwangspause.
Zum Text wollte ich noch anmerken, dass ich meine Intention “jeder definiert seinen Teil des Glücks, seine Teilausschnitte für sich selbst” nicht durch den Buchtitel relativiert, sondern bestätigt haben wollte. Es sollte also ein eher hoffnungsfrohes Ende sein.
In 2 Wochen geht es hier wieder weiter.
Bis dahin grüße ich Euch herzlich
Anguane
August 9th, 2009 at 06:02
Liebe Anguane!
Ich blinzel mal so ganz vorsichtig, ob du schon wieder Einzug gehalten hast in dein Blog-Zuhause…
Hoffe, du hattest einen erholsamen Urlaub!
Bis bald. LG - Donna